Die Konkurrenz „schlecht reden“ gehört nicht zur feinen Art, das eigene Geschäft anzutreiben und ist in Deutschland sogar wettbewerbswidrig. Dass Unternehmen mit dieser Praktik aber dennoch kokettieren, zeigt beispielsweise Werbung des Fast-Food-Konzerns Burger King, der seine eigenen Burger mit Sätzen wie „So ähnlich wie ein Big Mac, nur saftiger und schmackhafter“ bewirbt. Dieses Vorgehen ist selbstverständlich keine Erfindung der Moderne, weshalb sich unser nächster Beitrag zum Thema #hatespeech frühneuzeitlichen Ehrverletzungen widmet, die im Kontext von Konkurrenz und Wettbewerb stehen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Rivalitäten der heilkundigen Bader und Barbiere, die ihre Position gegenüber ihren Mitbewerbern auf dem bunten medizinischen Markt der Frühen Neuzeit beweisen mussten.
Bunter medizinischer Markt? – Die gesundheitliche Versorgung in der Frühen Neuzeit
Das frühneuzeitliche Medicinalwesen ist mit unserem heutigen Gesundheitssystem nur schwer vergleichbar, was vor allem die Perspektive der Patient*Innen zeigt. Stellen wir uns also vor, wir haben im Jahr 2021 Ohrenschmerzen, was tun wir? Entweder wir gehen zu unserem Hausarzt, der uns dann wahrscheinlich zum HNO-Arzt überweist oder wir suchen den Spezialisten auf direktem Wege auf. Die verschiedenen medizinischen Disziplinen haben heute also relativ streng voneinander abgegrenzte Tätigkeitsbereiche und sind meist hochgradig spezialisiert. Das war aber nicht immer so. Ein*e Patient*In mit Ohrenschmerzen konnte um 1600 verschiedenste Heilkundige aufsuchen, deren medizinisches Verständnis und Therapien sich grundlegend voneinander unterschieden. Auf die Behandlung bestimmter Erkrankungen waren sie aber trotzdem weniger spezialisiert. Mit Ohrenschmerzen konnte man zu einem studierten Arzt gehen, der die Beschwerden wohl anhand organischer Ursachen erklärte und deshalb mit Heiltränken, Purgationen (Darmreinigungen) oder Aderlässen kuriert hätte. Ein handwerklicher Heilkundiger hätte aufgrund seiner anatomischen Ausbildung wohl eine lokale Behandlung gewählt und vielleicht mit Umschlägen oder Salben versucht, das Übel zu beheben. Auch gab es Heilkundige, die nur eine geringe oder gar keine medizinische Ausbildung genossen haben und ihre Patient*Innen mit Haus- und Wundermittelchen versorgten. Es wäre an dieser Stelle aber viel zu einfach, eine Behandlung eines akademischen Arztes unbedingt als erfolgsversprechender darzustellen, als eine Versorgung durch einen „Quacksalber“. Die akademische Medizin wies noch kein umfangreiches Wissen auf, das Erkrankungen und Verletzungen ausreichend hätte bekämpfen können. Die Patient*Innen wählten Heilkundige deshalb nicht aufgrund ihrer Expertise und Spezialisierung, sondern aufgrund von Behandlungserfolgen, dem „Ruf“ und der „Reputation“. Im frühneuzeitlichen Medicinalwesen bestand Konkurrenz deshalb auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene, wie es das Beispiel der Bader und Barbiere zeigt.
Bader und Barbiere – wer war denn das?
Diese beiden Handwerke waren wichtige Säulen der medizinischen Versorgung in der Frühen Neuzeit. Die Bader betrieben die städtischen Bäder, in denen sämtliche städtische Bewohner etwa zweimal die Woche die Möglichkeit hatten, baden zu gehen. Als „Bad“ verstand man weder eine Badewanne noch einen Swimmingpool, sondern Schwitzbäder. Diese können wir uns, wie die Zeichnung Albrecht Dürers vermuten lässt, ähnlich wie heutige Dampfsaunen vorstellen, die mit Wasserdämpfen betrieben wurden. Um die Durchblutung anzuregen, peitsche man sich während des Bades mit Eichen- oder Birkenreisern aus, danach wurde die Haut mit Seife gewaschen und anschließend eingeölt. Die Bader übernahmen aber auch einige Bereiche der medizinischen Versorgung. Noch in der Frühen Neuzeit behandelten sie Hautkrankheiten und Wunden ihrer Badegäste. Badestuben waren zudem Orte, an denen man Bekannte traf, sich austauschte und sogar Feste feierte. Nicht selten endeten Hochzeiten beispielsweise mit einem gemeinsamen Bad. Frauen und Männer konnten oft gemeinsam baden und es gab einzelne Fälle, in denen Badestuben als Bordelle betrieben wurden. Als die Vorstellungen von strikter Sittlichkeit und züchtigem Verhalten im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts an Bedeutung gewannen, galten Badestuben, und damit auch die Bader, zunehmend als Gefahr für ein keusches und christliches Leben. Auch ihre heilkundigen Tätigkeiten wurden durch die Berührung mit Krankheiten als unrein wahrgenommen, weshalb sie häufig sozial gemieden wurden und verarmt waren.

Die Barbiere sind im Mittelalter, wie heutige Friseure, für das Schneiden der Kopfhaare zuständig gewesen. Da ein großer Teil der Bevölkerung zu dieser Zeit medizinisch unterversorgt war, übernahmen sie im Laufe der Zeit ebenso wie die Bader medizinische Behandlungen. Sie versorgten Wunden, Hautkrankheiten, Knochenbrüche und ab dem Spätmittelalter nahmen sie Operationen und Amputationen vor, weshalb sie in der Frühen Neuzeit auch als „Wundärzte“ und „Chirurgen“ bezeichnet wurden. Die Barbiere gehörten zu den wenigen Handwerkern, die lesen und schreiben konnten. Obwohl sich ihre Tätigkeiten an vielen Stellen mit denen der Bader überschnitten und auch die Barbiere in stetiger Berührung mit Krankheit und Tod standen, widerstrebten sie den frühneuzeitlichen „Gesetzen“ der Rangordnung. In Frankfurt waren sie wohlhabend, arbeiteten mit akademischen Ärzten zusammen und ihre fachliche Kompetenz wurde sehr geschätzt. Wie ist das zu erklären?

Der Rangkonflikt zwischen Badern und Barbieren
Artikel 15 der Zunftordnung der Barbiere aus dem Jahr 1619 zeigt sehr deutlich, dass aufgrund der ähnlichen Tätigkeitsbereiche Konkurrenz zwischen beiden Gewerken vorherrschte, die einerseits ökonomischen Ursprungs war:
[…] auch sollen sie außerhalb Ihrer badagen kein har abschneiden sondern an Ihrem gewönlichen badagen. Ihn Ihrer badstuben nachts soll es Ihnen erlaubt sein sonsten solle sich die bader Ihns gemein alles verbindens aderlasens har abschneidens gantz und gahr enthalten bey straff 4 Gulden so offt einer hir wieder handeln wirde.1
Die Barbiere versuchten den Aderlass und das Haarschneiden für sich allein zu beanspruchen, beziehungsweise den Badern die Ausübung dieser Tätigkeiten zu verbieten. Sie begründeten dies aber nicht etwa mit einer mangelnden Qualifikation ihrer Konkurrenten, wie es medizinische Berufe im modernen Gesundheitswesen tun. Im Fokus stand hingegen die Sicherung und Ausweitung ihrer eigenen wirtschaftlichen Existenz. In dem zitierten Artikel schwingt zudem ein Rangkonflikt mit, der zwischen beiden Gewerken ausgefochten wurde. Indem die Barbiere die Wundversorgung und das Aderlassen alltäglich ausübten, den Badern dies aber nur nachts gestattet war, erscheinen letztere als Aushilfen, die nur im Notfall „einspringen“ durften. Die Barbiere ordneten die Bader hierarchisch unter sich ein und konnten auf diese Weise ihren eigenen Rang in der Gesellschaft erhöhen. Das war für sie sehr wichtig, da sie, wie bereits angesprochen, durch ihre Berührungen mit Krankheit und Tod selbst von einer sozialen Randstellung bedroht waren. Die Bader mussten durch dieses Taktieren hingegen die „Unehrlichkeit“ fürchten.
Unehrlichkeit – was bedeutete das?
Unehrliche Personen waren überwiegend rechtlos. „Unehrlichkeit“ war nicht nur an die Herkunft (Sinti und Roma) und an den Glauben (Juden) gebunden, sondern auch an (berufliche) Tätigkeiten und Lebenswandel. Besonders waren Personen betroffen, deren Dienste den zeitgenössischen Reinheits- und Sittlichkeitsvorstellungen widersprachen. Prostituierte, Henker und selbst zahlreiche heilkundige Gruppen galten als schmutzig, sündhaft und waren somit „unehrlich“. In der Regel wurde man als „unehrlicher“ Mensch geboren und es war nahezu unmöglich diesen Status wieder abzulegen. Eine Heirat mit einer „ehrlichen“ Person war ausgeschlossen, die Arbeit in einem „ehrenvollen“ Beruf verboten, der Erwerb des Bürgerrechts unmöglich. In einigen europäischen Regionen konnte es reichen, mit „unehrlichen“ Personen, wie Henkern oder Totengräbern zusammen an einem Tisch zu sitzen oder diese zu berühren, um selbst die eigene „Ehre“ zu verlieren und damit auch alle Rechte und Privilegien. In „Unehre“ zu fallen, bedeutete für das eigene Leben und das der nachfolgenden Generationen also massive Einschränkungen und Hindernisse.
Für die Barbiere war es deshalb von großer Bedeutung, sich möglichst stark von ihren Kontrahenten zu distanzieren und trotz der überschneidenden Tätigkeitsbereiche einen höheren sozialen Status einnehmen zu können. Dies sollte auch für ihre Patient*Innen sichtbar sein: Nur den Barbiere war es erlaubt, ähnlich wie heutige Werbetafeln, Scherbecken über ihre Stuben aufzuhängen. Den Badern wurde dies untersagt, sie durften ihre Badestuben lediglich mit Badehüten, kennzeichnen: Es soll kein bader, laut des alten Articulbuches, kein becken außhencken sondern badhüt, wie von alters hero ider Zeit alhir gebreuchlich gewesen.1 Die unzähligen Verstöße gegen diese Verordnung zeigen sehr deutlich, dass das Scherbecken und somit die Barbiere eine höhere Anerkennung und Reputation erfuhren, als der Badehut der Bader. Aber kann man diese Abgrenzungen, oder Distinktionspraktiken, wie wir im historischen Fachjargon sagen würden, schon mit Ehrverletzung betiteln?
In Artikel 16 der bereits zitierten Zunftordnung heißt es:
16. Wirde auch einer das balbirer handtwerck lehrnen her nach er ihn wanderschafft zu einem bader sich begeben und bei ihm arbeiten der selbige soll vor ein bader und nicht vor ein balbirer gehalten werden.1
Indem Barbiere sich fortan Bader nennen mussten, sobald sie bei einem Bader gearbeitet hatten, verdeutlichte die Barbierzunft die Trennung beider Gewerke. Diese Forderung erinnert aber auch stark an den bereits genannten Umgang mit „unehrlichen“ Personen. Eine „ehrliche“ Person konnte ihre Ehre verlieren, indem sie mit „Unehrlichen“ Umgang pflegte. Ein Barbier konnte seinen Status als Barbier verlieren, indem er in einer Badestube arbeitete. Mit dieser Formulierung stigmatisierten die Barbiere ihre Kontrahenten also zwischen den Zeilen als „unehrlich“. Ebenso wie in dem anfangs geschilderten Konflikt zwischen Burger King und McDonalds, sind diese Ablehnung, Ehrverletzung und der Hass auf die Rivalität der beiden Handwerke zurückzuführen. Auch wenn wir aus dem modernen Gesundheitswesen ebenfalls Rangkonflikte zwischen Ärzten und medizinischen Ausbildungsberufen, wie Physiotherapeuten und Hebammen beobachten können, unterscheiden sie sich in einem entscheidenden Punkt: Die Ehrverletzung bedrohte die Ehre der Bader und stellte für sie deshalb eine existenzielle Bedrohung auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene dar.
Die Attacken der Barbiere waren von Erfolg gekrönt. Sie selbst stiegen im Laufe der Frühen Neuzeit immer weiter zu anerkannten und vermögenden Handwerkern auf. Die Bader hingegen hatten Mühe, ihren sozialen Status zu halten. In der Geschichte gibt es aber nicht nur Gut und Böse, schwarz und weiß. Auch die Barbiere waren Attacken ausgesetzt und mussten ihren Rang besonders gegenüber den akademischen Ärzten stets verteidigen. Der Konflikt der Bader und Barbiere kann deshalb stellvertretend für Konflikte stehen, die im Medicinalwesen auf allen Ebenen zu finden waren.
Zum Weiterlesen:
Blog zur frühneuzeitlichen Medizingeschichte von Jennifer Evans.
Annemarie Kinzelbach: Chirurgen und Chirurgiepraktiken. Wundärzte als Reichsstadtbürger 16. bis 18. Jahrhundert, Mainz 2016.
Franz Irsigler, Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker: Außenseiter einer mittelalterlichen Stadt. Köln 1300-1600, 4. Auflage, München 1991.
Georg Ludwig Kriegk: Ärzte, Heilanstalten, Geisteskranke im mittelalterlichen Frankfurt a.M., Frankfurt am Main 1863.
Robert Jütte: Krankheit und Gesundsein in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2013.
Sabine Sander: Handwerkschirurgen. Sozialgeschichte einer verdrängten Berufsgruppe, Göttingen u.a. 1989.
Referenzen
1 Barbierordnung 1619, IfSG Frankfurt, Handwerker Akten Nr. 1885.
Bild 1: Albrecht Dürer, Das Frauenbad, 1496.
Bild 2: Holzschnitt von Hans Wächtlin in Hans von Gersdorff, Feldbuch der Wundartzney, etwa 1519.
Ein Gedanke zu “Entehrt?! – Rangkonflikte im frühneuzeitlichen Medicinalwesen”