
ALLES IST GESCHICHTE!
Kennst du das auch? Du triffst auf einer Familienfeier Verwandte, die du lange nicht gesehen hast, und während du dir den Kopf zerbrichst, wie du am besten das Eis brichst, kommt sie auch schon, die Klassiker-Frage des Smalltalks: „Was studierst du eigentlich?“ Diese Phrase ist fester Bestandteil jeder Smalltalk-Routine und fast genauso vorhersehbar wie die Reaktion auf deine Antwort: „Ich promoviere in Geschichte!“ und mein Gegenüber fragt: „Ah, interessant! Und was macht man damit?“ Die Frage impliziert nicht nur die Frage nach dem praktischen Nutzen und dem gesellschaftlichen Mehrwert von Geschichtswissenschaft, sondern auch Unwissen über das, was Historiker*innen eigentlich machen. Den Mehrwert von Wissenschaft in der Lösung konkreter Probleme und somit auf den utilitaristischen Nutzwert zu fokussieren, ist eine Haltung, die hierzulande auf breite Zustimmung stößt. Hierfür ist die Geschichte denkbar ungeeignet. Geschichte ist kein Problemlöser, sondern ein Problemversteher! Das ist aber kein Nachteil– im Gegenteil: Bevor man sich an die Lösung eines Problems begibt, sollte man sich in einem ersten Schritt die Mühe machen, das Problem zu verstehen und nicht den zweiten vor dem ersten Schritt zu tun. Hier kann die Geschichte ein wichtiges Instrument sein, indem man Fragen stellt und damit zu einem besseren Verständnis der Gegenwart beiträgt. So banal das auch klingen mag – die Gegenwart ist das Ergebnis der Vergangenheit. Das heißt, alles (was ist), ist Geschichte! Und wenn man durch die Historisierung gegenwärtiger Phänomene zu einem besseren Verständnis der Gegenwart beitragen kann, ist ein wesentlicher Mehrwert von Geschichte beschrieben. Hierzu muss man sich unserem Verständnis nach der Vielfalt des menschlichen Daseins in historischer Perspektive widmen und das ist im Wesentlichen das, womit wir uns in unseren Forschungen beschäftigen.
Wir, das sind drei engagierte Promovierende der Geschichtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg. Wir forschen zu sozial- und kulturgeschichtlichen Themen aus der Frühen Neuzeit (1500-1800), das heißt wir untersuchen Phänomene der alltäglichen Erlebniswelt von Menschen in historischer Perspektive. Viele Probleme unserer Zeit, wie Armut, Wohnungsnot oder Fake News, um nur ein paar Beispiele zu nennen, sind keine Erfindungen des 21. Jahrhunderts, sondern gehörten zur alltäglichen Erlebniswelt der Menschen sämtlicher Epochen und Kontinente. Und doch sind sie in sehr verschiedene Kontexte eingebettet, weshalb wir bei ihrer historischen Betrachtung viel Bekanntes, aber auch unendlich viel Fremdes finden. Wir wollen mit dir in die faszinierende Welt der Geschichte eintauchen und zeigen, dass Forschung nicht trocken und langweilig sein muss, sondern unterhaltend und lehrreich zugleich sein kann.
Daher wollen wir in wechselnden Themenblöcken…
- …Beiträge zur Sozial-, Kultur- und Alltagsgeschichte ausgehend von der Frühen Neuzeit (1500-1800) und späteren Epochen veröffentlichen,
- …durch den Blick in die Geschichte gegenwärtige Fragen, Debatten und Diskurse verständlich machen, Perspektiven für die Zukunft gewinnen und aktuelle Fragen an die Geschichte stellen,
- …dich Teil haben lassen an unserem Forschungsalltag und dir in unserer Geschichtswerkstatt einen Einblick darüber verschaffen, was Geschichtsforschung eigentlich ausmacht.
Warum ein Blog? – Die Idee
Warum haben wir uns für das Blog-Format entschieden? Wissenschaft ist in erster Linie Kommunikation und lebt vom Austausch innerhalb und außerhalb des viel zitierten „Elfenbeinturmes“. Auf die besten Ideen kommt man nicht, indem man stundenlang in seiner stillen Kammer vor sich hin sinniert, sondern im Gespräch mit Gleichgesinnten. Dazu muss man noch nicht einmal zu den gleichen Themen zu forschen, es reicht schon, sich mit Gleichgesinnten über interessante Forschungsergebnisse, neue Fragestellungen und Perspektiven auf die eigene Forschung zu unterhalten. In Zeiten von social distancing eine nicht ganz einfache Aufgabe: Die Corona-Pandemie weist dystopische und utopische Elemente auf. Einerseits ist sie eine Krise, die gesellschaftliche und politische Missstände offenlegt. Andererseits fordert sie dazu auf, das was ist, zu hinterfragen, neu zu denken und zu verändern. Die Krise birgt also immer auch Potential für Veränderung und Utopie. Zu den Missständen der wissenschaftlichen Lehre gehören unserer Meinung nach die zahlreichen Hausarbeiten, die man ausschließlich zum Notenerwerb schreibt und die schlussendlich in irgendeiner Schublade verstauben. So viel ungenutztes Potenzial, das dem (außer-)wissenschaftlichen Diskurs entzogen wird! Corona bietet jedoch die unverhoffte Chance daran etwas zu ändern, denn sie hat die Lehrenden zur Digitalisierung der Präsenzlehre gezwungen und somit die Tür in eine Welt aufgestoßen, die in anderen Fachbereichen schon längst zum Alltag gehört. Warum also nicht aus der Not eine Tugend machen und neue Wege der Wissenschaftskommunikation beschreiten? So hat Katharina in ihrem Seminar zu Utopien in der Frühen Neuzeit den Studierenden die Möglichkeit gegeben, ihre Seminararbeiten in Form von Blogeinträgen und Podcasts online zu veröffentlichen. Das brachte uns auf die Idee, das Seminarprojekt zu diesem Geschichtsblog auszubauen.
Und jetzt bist Du gefragt! Denn wie bereits gesagt, gehört zur Wissenschaftskommunikation der Austausch mit Gleichgesinnten und Andersdenkenden. Deshalb rufen wir alle Leser*innen dazu auf, fleißig zu kommentieren und zu einer anregenden Diskussion beizutragen.
Bist Du dabei?