
Bibliothèque nationale de France
Liebes-Freundschaft(en)
Freundschaft besteht darin zu lieben, […]. Sie ist eine Weise des Liebens.“[1]
Die sprachliche und ikonographische Engführung von Freundschaft und Liebe überrascht auf den ersten Blick, sind wir es doch gewohnt, sauber zwischen beiden Beziehungsformen zu trennen. Dabei ist im lateinischen Wortstamm des Freundschaftsbegriffes „amicitia“ die Liebe („amor„) enthalten, das heißt der Freundschaft war seit jeher eine leidenschaftliche Dimension eingeschrieben, die sowohl platonisch als auch erotisch interpretiert werden konnte.
Auch in Bassans Kupferstich sind sowohl Liebes-als auch Freundschaftsallegorien enthalten: Zum einen Amor, der Gott der Liebe, der seine Partnerin zärtlich umarmt und ihr einen aus den Blüten des Granatapfelbaumes geflochtenen Kranz über den Kopf hält, während sie in ihrer linken Hand ein Herz hält – beides Symbole für die Wärme und Beständigkeit des Freundschaftsbundes. Zum anderen handelt es sich um ein verschieden geschlechtliches Paar, das häufig in erotisch konnotierten „Amour et Amitié-Darstellungen“ vorkam. Liebe war sehr viel bedeutungsoffener als heutzutage, reichte von der emotionalen Zuneigung und Verbundenheit bis hin zu sexuellem Begehren und war auch in personalen Beziehungen jenseits der klassischen Paar-Beziehung denkbar.
Dies änderte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts vor allem in theoretischen Auseinandersetzungen um den Freundschaftsbegriff: Für den Philosophen Michel de Montaigne (1533-1592) waren Freundschaften zwischen Männern und Frauen undenkbar. Das einzig denkbare zweigeschlechtliche Verhältnis war das des sexuellen Begehrens, während er Homosexualität als unzüchtig und abscheulich bezeichnete. Um die Universalität der Heterosexualität sicher zu stellen, wurde Liebe auf Sexualität verengt, womit Freundschaft und Liebe fortan getrennte Wege gingen.
Exemplarisch zeigt sich dieser Sinneswandel auch an Wörterbüchern des 18. Jahrhunderts: Während im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts Freundschaft noch als „Zuneigung“ bezeichnet wird, wird Freundschaft im weiteren Verlauf des Jahrhunderts als „anständiges und angenehmes Verhältnis“ beschrieben. Die Freundschaft wurde gewissermaßen von Leidenschaft und Sinnlichkeit befreit. In Freundschaftstraktaten – als Beispiel sei hier Michel de Montaignes Essay über die Freundschaft genannt – war Liebe im Vergleich zu Freundschaft zwar ein ungleich stärkeres Gefühl, aber auch unstet und kurzlebig, was weder dem Ideal der Freundschaft entsprach noch den Ordnungsvorstellungen von Partnerschaften oder Ehen.
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal, dass zwischen Liebe und Freundschaft hinzukam, war das der Reziprozität oder Wechselseitigkeit zwischen Freunden hinsichtlich ihrer emotionalen Zuneigung. Hier kam das Ideal der aristotelischen Tugendfreundschaft zum Vorschein, während in der partnerschaftlichen Liebe, die exklusiv der Ehe vorbehalten war, vornehmlich andere Tugenden wie Beständigkeit, Respekt und Gehorsam gefragt waren. Freundschaften vollzogen sich nun vermehrt im privaten Umfeld und erlebten in der Folge eine Vervielfältigung ihrer Ausdrucksformen – jedoch stets in Abgrenzung zur Liebe.
Wenn das Wortfeld von Freundschaft so vielfältig ist, stellt sich die Frage, warum der Begriff seinem Alltagsverständnis nach eine Eindeutigkeit suggeriert, die er nie hatte? Um diesem Missverhältnis auf die Spur zu kommen, müssen wir wiederum einen Blick in die Geschichte werfen…
Die aristotelische Tugendfreundschaft
Freundschaft ist eine Beziehungsform, über die wir praktisch sehr viel besser Bescheid wissen als theoretisch. Denn ich gehe davon aus, dass alle Leser:innen dieses Beitrags Freunde und/ oder Freundinnen haben. Damit habt ihr praktisch unter Beweis gestellt, dass ihr über die nötige soziale Kompetenz und Intelligenz verfügt, Freundschaften einzugehen und über einen bestimmten Zeitraum zu leben und zu pflegen. Ich gehe auch davon aus, dass die wenigsten von euch im Kindergarten- oder Grundschulalter, wenn wir die ersten Freundschaften eingehen, vorher Ratgeberliteratur oder eure Eltern befragt habt, um theoretisch darüber Bescheid zu wissen, wie Freundschaften funktionieren. Warum? Weil Freundschaften als spezielle Form der Liebesbeziehung Ausdruck des menschlichen Grundbedürfnisses nach emotionaler und sozialer Nähe sind, die aber in ihrer Auslebung erlernt werden müssen und die sich im Laufe des Lebens verändern. Dies erklärt zugleich wiederum den Erfolg von Ratgeberliteratur, die wortreich erklärt, was „wahre“ Freundschaft ist und wie Freundschaften möglichst lange erhalten bleiben. Es gibt also unterschiedlichste Formen dieser sozialen Beziehung, die in ihrer Auslebung herausfordernd sein können. Kurz gesagt: Freundschaft ist nicht gleich Freundschaft, sondern ein kulturell geprägtes und historisch gewachsenes Konstrukt. Eines zeigt die Attribuierung „wahr“ aber auch ganz deutlich – dass es ein universell gültiges Ideal von Freundschaft zu geben scheint, nach dem wir alle streben und das seine Wurzeln in der Geschichte hat.
Den größten Einfluss auf unser modernes Freundschaftsverständnis hatte ohne Zweifel der griechische Universalgelehrte Aristoteles. (384 -322 v.Chr.) Grundsätzlich unterscheidet er zwischen drei Freundschaftstypen, die auf Nutzen, Lust oder Tugend basieren. Das Ideal der Freundschaft, an dem bis in die heutige Zeit der Wert von „wahren“ Freundschaften bemessen wird und von dem oftmals Ausgangspunkte für gesellschaftskritische Stellungnahmen ausgehen, ist die Tugendfreundschaft.
„Die Tugendfreundschaft ist die Freundschaft, die auf der Wertschätzung der Tugend, also der Gutheit der Freundin beruht. Die Tugend ist der Grund für die Liebe zur Freundin.“[2]
Die beiden Grundvoraussetzungen für Freundschaften sind gegenseitiges Wohlwollen und Freiwilligkeit, aber für die Verwirklichung einer vollkommenen Tugendfreundschaft reicht das nicht aus: Tugend (griech. aretē), das sich wörtlich als ‚Gutheit‘ oder ‚Vortrefflichkeit‘ übersetzen lässt, kann unterschiedliche Kompetenzen oder Charaktereigenschaften betreffen, die wir an unseren Freund*innen wertschätzen. Aristoteles geht davon aus, dass das Gute für uns sowohl angenehm als auch nützlich sein kann. Umgekehrt sind Tugenden aber nicht automatisch gut, weil sie angenehm oder nützlich sind. Das Gute in einer Tugendfreundschaft besteht darin, Freunde um ihrer selbst willen zu schätzen, ohne auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Damit Freundschaften als angenehm empfunden werden, sollten Freunde darüber hinaus in ihren Interessen und Charaktereigenschaften übereinstimmen, um Meinungsverschiedenheiten zu vermeiden. Und weil Aristoteles und andere antike Autoren wie Cicero davon ausgingen, dass sich menschliche Veranlagungen im Laufe des Lebens nicht verändern, halten auch Tugendfreundschaften in ihrer Vorstellung ein Leben lang. Aufgrund der hohen Anforderungen hielt es jedoch selbst Aristoteles für ausgeschlossen, dass die meisten Menschen jemals in den Genuss einer Tugendfreundschaft kommen würden.
Bei der Tugendfreundschaft handelt es sich folglich um eine Idealvorstellung, die zwar von vielen bis heute angestrebt wird, im Praxistest aber eigentlich nur scheitern kann. Dies war, wie gezeigt, auch den Zeitgenoss:innen bewusst, weshalb sich eine Vielzahl von Freundschaftstypen entwickelte, von denen wir den einen oder anderen in den nächsten Wochen beleuchten wollen.
Referenzen
Titelbild: Personifikation der den Tod überdauernden Freundschaft. Rom, 1603, URL: https://www.rdklabor.de/w/index.php?curid=17719
Pierre-François Bassan, L’Amour et lamitié, 18. Jahrhundert, Kupferstich, Paris, Bibliothèque nationale de France
Zum Weiterlesen
AUERBACH, Mechtild: Freundinnenporträts
BUSCH, Werner: Facetten der Freundschaft in Bildern des 18. Jahrhunderts, in: TYRADELLIS, Daniel (Hrsg.): Freundschaft: das Buch, Berlin 2015, S. 122-154.
WIERTZ, Svenja: Freundschaft, Berlin 2020.
[1] DERRIDA, Jaques: Politik der Freundschaft, Frankfurt am Main 2000.
[2] WIERTZ, Svenja: Freundschaft, 11.
Ein Gedanke zu “Geschichte(n) der Freundschaft”