In unserem heutigen Blogpost wollen wir uns einem Thema widmen, das in vielen Köpfen sehr eng mit der partnerschaftlichen Liebe verknüpft ist – Sexualität. In der modernen Popkultur finden sich unzählige Beispiele, die sich mal mehr, mal weniger subtil mit ihr beschäftigen. Die eingangs zitierten Zeilen aus Peter Gabriels Song “Sledgehammer” sprechen das Wort “Sex” nicht aus: “’Cos I will be your honey bee, Open up your fruitcage, Where the fruit is as sweet as can be”. Die Metapher von “Bienchen und Blümchen” steht in unserer Gesellschaft aber so eindeutig für Sexualität und Fortpflanzung, dass die angesprochene Hörerschaft auch ohne eine explizitere Ausführung weiß, worum es in diesen Zeilen eigentlich geht. Woher dieses Sprichwort stammt und was es mit der Frühen Neuzeit zu tun hat, werden wir im Folgenden beleuchten.

Christian Konrad Sprengel und die Bienen
Dass Bienen und andere Insekten für die Bestäubung vieler Pflanzen unerlässlich sind, weiß heutzutage jedes Kind. Bis in die Frühe Neuzeit war dies allerdings noch nicht bekannt und es hatte andere Erklärungen über die pflanzliche Reproduktion gegeben. Antiken Lehren folgend war man davon ausgegangen, dass der Samen einer Pflanze lediglich den Boden brauche, um sich zu vermehren. Demnach enthält der Samen also alle Anlagen und Informationen, die für die Vermehrung der Pflanze notwendig sind, der Boden dient hingegen lediglich als Nährboden. Ende des 17. Jahrhunderts entdeckten Pflanzenanatomen und –physiologen wie Nehemaih Grew (1641-1712) und Marcelo Malpihi (1628-1694) unter dem Mikroskop allerdings morphologische Strukturen in Blüten, Früchten und Samen, die sie an einen komplexeren Prozess der Befruchtung und Fortpflanzung glauben ließen, als es bis dahin angenommen wurde. Der Tübinger Gelehrte Rudolf Jakob Camerarius (1665-1721) entfernte in seinen Experimenten die Staubbeutel einiger Pflanzen, die sich daraufhin nicht mehr vermehrten. So beschrieb er 1694 in seinem Werk De sexu planatarum („Über das Geschlecht der Pflanzen“), diese hätten wie Schnecken männliche und weibliche Geschlechtsorgane und würden sich selbst befruchten. Christian Konrad Sprengel (1750-1816) kam 1793 schließlich den Insekten und ihrer Rolle bei der Bestäubung auf die Spur. Der Theologe hatte sein Interesse für die Botanik in einer beruflichen und psychischen Krise entdeckt, als sein behandelnder Arzt Ernst Ludwig Heim (1474-1834) – selbst ein bedeutender Mooskenner – ihm eine intensivere Auseinandersetzung mit der Natur empfahl. Sprengel widmete sich daraufhin der Erkundung der Spandauer Flora und kam schließlich zu der Annahme, dass es wind- und insektenbestäubte Blüten geben müsste.

Die Sache mit den Blumen
Schon vor Sprengels Entdeckung erfreute sich die metaphorische Gleichsetzung von pflanzlicher und menschlicher Sexualität großer Beliebtheit. 1735 klassifizierte der schwedische Botaniker Carl von Linné (1707-1778) in seiner Schrift Systema naturae („System der Natur“) die Pflanzen analog zum menschlichen Sexualsystem: Anhand ihrer Staubgefäße und Griffeln teilte er sie einerseits gleichsetzend mit den menschlichen Geschlechtsorganen in „Ehemänner“ und „Ehefrauen“ ein. Andererseits beschrieb er sie mit Begriffen menschlicher Sexualpraktiken als monogam, polygam, ehebrüchig, hermaphroditisch, homosexuell, inzestuös und prostituiert. Die hohe Zahl der Auflagen des Werks und die vielen Übersetzungen in andere Sprachen zeigen, dass Linnés Ausführungen großen Anklang erfuhren. Dennoch galten sie nicht als gänzlich unproblematisch, galt die Botanik doch als ein Fach, das auch Frauen gelehrt wurde, die man vor einer solch sexualisierten Sprache bewahren wollte. So suchte manch Übersetzer fieberhaft nach harmlosen, keuschen Begrifflichkeiten, mit denen Linnés Systematik beschrieben werden konnte. Die offensichtliche Verbindung zwischen Botanik und Sex war aber sicherlich auch ein wichtiger Grund für die große Beliebtheit des Werkes. Frauen und Männer konnten sich im sonst sehr strikten, sittlichen 18. Jahrhundert auf diese Weise mit der eigenen Sexualität auseinandersetzen.

Ganz explizit machte es Erasmus Darwin (1731-1802), der Großvater Charles Darwins (1809-1882), in seinem 1789 erschienenen Gedicht „The Love of the Plants“. Darin präsentiert er in lyrischer Form Linnés Ausführungen. In dem Gedicht werden den Pflanzen Emotionen sowie männlich und weiblich konnotierte Charaktereigenschaften zugeschrieben. Diese Vermenschlichung der Pflanzen führt zu einigen erotisch anmutenden Passagen, die Darwin keinesfalls unbeabsichtigt niederschrieb. Er hatte zuvor als Arzt gearbeitet und sich aus medizinischer Perspektive deshalb bereits intensiv mit Sexualität beschäftigt. Er stellte sich gegen die damalige Auffassung, zu viel Sex sei ungesund, da den männlichen Körper mit dem Sperma auch die Lebenskraft verlasse. Im Gegenzug dazu verschrieb er Sex sogar als Heilmittel gegen Hypochondrie und konnte auch gegen die Masturbation, anders als das Gros seiner Zeitgenossen, keine Einwände finden. „The Love of the Plants“ brach einerseits mit den konventionellen Rollenbildern, andererseits aber auch mit der Vorstellung der monogamen, ehelichen Sexualität, die in der Frühen Neuzeit, zumindest normativ, die einzig anerkannte Form des Geschlechtsverkehrs darstellte.

Erasmus Darwin richtet sich gegen die heterosexuelle Reduzierung von Geschlechtsverkehr, indem er durch die sexuelle Vielfalt der Pflanzenwelt metaphorisch auch die menschliche sexuelle Diversität beschreibt. Vor allem die weibliche Leserschaft erfreute sich an Darwins Werk und seinen Ausführungen. Die Bestäubung von Pflanzen als Metapher für menschliche Sexualität ist also keine Erfindung des 21. Jahrhunderts und vermutlich hätten auch Darwins und Linnés aufmerksame Leser*innen verstanden, dass Peter Gabriel in „Sledgehammer“ eher weniger die Flora und Fauna besingt.
Referenzen:
Zum Weiterlesen
Fredrika F. Teute: The Loves of the Plants; or, the Cross-Fertilization of Science and Desire at the End of the Eighteenth Century. In: Huntington Library Quarterly 63/3 (2000), S. 319-345.
Bernhard Zepernick: „Sprengel, Konrad“. In: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 750-751.