
In den nächsten Monaten wollen wir uns auf diesem Blog verschiedenen Emotionen aus der Perspektive der Frühen Neuzeit widmen. Dies ermöglicht uns, einen Zugang zum Leben, Denken und Fühlen der Menschen dieser Epoche zu eröffnen. Gefühle haben sich ja schließlich nicht verändert? Oder doch? In den nächsten Blogposts möchten wir ergründen, wie Menschen in der Frühen Neuzeit beispielsweise Hass, Liebe, Freundschaft und Trauer erlebt haben, was uns bekannt vorkommt und was sich im Laufe der Zeit verändert hat.
Für unsere ersten Texte haben wir mit #hatespeech bewusst eine Überschrift gewählt, die aktuell sehr häufig gebraucht wird und ein gegenwärtiges Phänomen beschreibt. Welches Phänomen das ist und warum wir mit dem Konzept „Hate Speech“ auch in der Frühneuzeitforschung arbeiten können, erklären wir im Folgenden.
„Hate Speech“ – Was ist das eigentlich?
„Hate Speech“ (dt. Hassrede) ist ein politischer Begriff, der beleidigende Äußerungen beschreibt, die auf Social Media Plattformen getroffen werden. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung passieren aber auch außerhalb des Netzes. Im Gegensatz zur Beleidigung verunglimpft „Hate Speech“ kein einzelnes Individuum, sondern würdigt eine ganze Gruppe herab. Im juristischen Sinne werden derartige Handlungen in Deutschland deshalb unter dem Tatbestand der Volksverhetzung gefasst.
Trotz dieser Definition entstehen immer wieder Streitigkeiten darüber, welche Beiträge und Aussagen darunter fallen, da die Bedeutungsgrenzen des Begriffs nicht einheitlich und klar abgesteckt sind. Einerseits wird die Intention, Hass zu verbreiten, als Merkmal angeführt. Dem gegenüber steht eine Betroffenenperspektive, die dort „Hate Speech“ verortet, wo sich Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihres Geschlechts, ihrer Sexualität usw. angegriffen und beleidigt fühlen. Opfer einer solchen gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit erfahren auch im alltäglichen Leben in Deutschland immer wieder Ausgrenzung und Nachteile. So macht ein ausländisch klingender Name die Wohnungssuche häufig zu einem sehr schwierigen Unterfangen, um nur ein Beispiel zu nennen. Zusammengefasst können wir also festhalten, dass „Hate Speech“ eine weitere Form der Diskriminierung ist, die sich im Alltag der Betroffenen auf unterschiedliche Art und Weise äußern kann. Hass im Netz zeichnet sich durch eine besondere Aggressivität aus, so zum Beispiel in Bezug auf die Quantität der Kommentare. Täter sind dabei nicht nur Privatpersonen, die andere User in diversen Kontexten beleidigen. Hinter den Hasskommentaren stecken häufig „Trolle“, die mit dem Ziel angestellt und bezahlt werden, Hetze zu verbreiten und Diskussionen zu manipulieren, um bestimmte Ideologien zu verbreiten. Dabei tauchen bestimmte Stereotypisierungen und Vorverurteilungen immer wieder auf, wie beispielsweise „Ausländer nehmen uns Arbeitsplätze weg“ oder „Die Flüchtlinge haben alle teure Handys“. Außerdem ist die Intensität der Beleidigungen im Netz durch den Deckmantel der Anonymität häufig wesentlich prägnanter als im realen Leben. So sind Bedrohungen wie „Die sollte man abknallen“ keine Seltenheit. Direktes Ziel dieser Aussagen sind zwar meistens einzelne Individuen, sie richten sich jedoch zugleich an ganze Gruppen, wie beispielsweise Geflüchtete, Arbeitslose usw.
In unserer Gesellschaft, damit ist vorwiegend die westlich geprägte Welt gemeint, wird diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit jedoch nicht allgemein als rechtens und richtig erachtet. Hassrede löst immer wieder Diskussionen aus, da sie unseren Normen und Werten widerspricht. Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes bestimmt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, unabhängig vom Geschlecht, der Herkunft, des Glaubens oder der politischen Anschauung. Doch dieser Grundsatz wird nicht überall auf der Welt geteilt. Die muslimischen Uiguren in China, Rohingya in Myanmar oder die Sinti und Roma in osteuropäischen Ländern sind nur wenige der vielen Gruppen, die auf der Welt verfolgt sowie von Bildung, Kultur und auch dem Gesetz ausgeschlossen werden. Die aktuellen „Querdenker-Demonstrationen“ oder kürzlich verübter extremistischer Terror, wie die Anschläge in Halle und Hanau, aber auch linksextremistische gewaltsame Ausschreitungen wie in Leipzig-Connewitz zeigen, dass durch „Hate Speech“ im Netz auch in Deutschland ein Klima des Hasses geschaffen werden kann. Psychische und physische Gewalt gegen Menschen(gruppen) werden dadurch in bestimmten Kreisen normalisiert und legitimiert. Die Ausgrenzung diverser Gruppen und ein umstrittener Umgang mit Minderheiten und Andersartigkeit ist in Europa also kein „ausgestorbenes“ Model der Vergangenheit, sondern findet sich vielerorts wieder. Damit meinen wir nicht nur das vergangene Jahrhundert mit seinen furchtbaren Genoziden und Kriegen, sondern auch die älteren Epochen. Auf diesem Blog wollen wir uns deshalb Diskriminierungen in der Frühen Neuzeit widmen und schauen, welche Parallelen und auch Unterschiede wir zu aktuellen Formen und Äußerungen von Hass finden können.
„Hate Speech“ in der Frühen Neuzeit
Wenn wir das Konzept „Hate Speech“ in die Frühe Neuzeit übertragen wollen, müssen wir es zunächst in frühneuzeitliche Vokabeln übersetzen und diese mit Kontext füttern. Synonym zur heutigen „Hate Speech“ war in der Frühen Neuzeit die Ehrverletzung. In diesem Wort findet sich eine sehr zentrale Idee, die Gesellschaft, Religion und Politik maßgeblich prägte: die Idee der „Ehre“. Sie ist uns nicht gänzlich unbekannt, auch wenn wir heute meistens Begriffe wie „Image“ oder „Ruf“ verwenden, wenn es um die Anerkennung Dritter geht. Wir können Ehre aber nicht eins zu eins mit „Image“ oder „Ruf“ übersetzen. In der Frühneuzeitforschung bezeichnen wir „Ehre“ als „zentrale Ordnungskategorie“. Das bedeutet, dass Menschen in der Frühen Neuzeit die Welt, den Glauben, Menschen und Meinungen anhand der Zuschreibung von „(Un-)Ehre“ in gut und böse, richtig und falsch ordneten. Konkreter formuliert, konnte ein als „unehrlich“ geltender Menschen nicht allein diskreditiert, ausgeschlossen und (im schlimmsten Fall) körperlich angegriffen werden, wie es heute der Fall ist. Es war sogar möglich ihm sämtliche Rechte abzuerkennen, ihn aus der Gemeinschaft, also aus der Stadt oder dem Dorf zu verweisen und ihm Arbeit und Nahrung zu verweigern. Ehrverletzungen wiesen viele unterschiedliche Merkmale auf, bspw. geschlechterspezifische Schimpfwörter. Abhängig von Macht, Geld, Status oder Einfluss der betroffenen Personen wurden diese Ehrkonzepte aber auch situativ und individuell angepasst.
Hate Speech, oder besser gesagt Ehrverletzung, stellte für die Betroffenen eine fundamentale Bedrohung dar und war auf der anderen Seite ein probates Mittel unliebsame Mitmenschen zu verunglimpfen. Die folgenden Beispiele zeigen wer von Ehrverletzungen betroffen war, wie sie geäußert wurden, in welchen Kontexten sie stattfanden, wer die Täter waren und wie bzw. ob die zeitgenössische Gesellschaft dieses Phänomen reflektierte. In diesem Sinne: Alles ist Geschichte – auch Hate Speech.
Weitere Informationen und Hilfe für Betroffene: