Marita Metz-Becker
Für den folgenden Beitrag begrüßen wir als Gastautorin Frau Prof. Dr. Marita Metz-Becker und danken Ihr sehr herzlich für diesen weiteren Einblick in die Geschichte der Liebe! Sie ist außerplanmäßige Professorin für Europäische Ethnologie und Kulturwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und leitet zudem das Marburger Haus der Romantik, das in seiner kleinen Dauerausstellung den Kreis romantischer Schriftsteller*innen beleuchtet, die um 1800 in Marburg lebten. Im folgenden Text wird Marita Metz-Becker uns die außergewöhnliche und turbulente Ehe Clemens Brentanos vorstellen, der 1803 die Schriftstellerin Sophie Mereau heiratete und mit ihr in Marburg lebte. Für weitere spannende Geschichten aus dem schriftstellerischen Marburger Stadtleben um 1800 möchten wir euch an dieser Stelle einen Besuch im Haus der Romantik wärmstens empfehlen! Nun aber viel Vergnügen mit dem folgenden Beitrag:
I.
„Das Weib gibt, indem sie sich zum Mittel der Befriedigung des Mannes macht, ihre Persönlichkeit auf, sie erhält dieselbe, und ihre ganze Würde nur dadurch wieder, daß sie es aus Liebe für diesen Einen getan habe … Ihre eigene Würde beruht darauf, daß sie ganz, so wie sie lebt, und ist, ihres Mannes sei, und sich ohne Vorbehalt an ihn und in ihm verloren habe. Das Geringste, was daraus folgt, ist, daß sie ihm ihr Vermögen und alle Rechte abtrete, und mit ihm ziehe. Nur mit ihm vereinigt, nur unter seinen Augen, und in seinen Geschäften hat sie noch Leben, und Tätigkeit. Sie hat aufgehört, das Leben eines Individuums zu führen; ihr Leben ist ein Teil seines Lebens geworden“.1

Diese Vorstellungen zum Geschlechterverhältnis legt der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) in seiner Grundlage des Naturrechts im Jahr 1796 nieder, aber viele werden ihm in diesen Ansichten gegen Ende des Jahrhunderts schon längst nicht mehr folgen. Schon gar nicht die junge Frau, die an seinen Vorlesungen in Jena teilnahm, als Gasthörerin selbstverständlich nur, denn das Frauenstudium sollte erst einhundert Jahre später eingeführt werden. Die junge Frau aber, von der hier die Rede ist, ging als erste „Berufsschriftstellerin“ in die deutsche Literaturgeschichte ein, wenn sie auch zunächst noch über zwei Männer definiert wurde, nämlich als „Schülerin Schillers“ und „Ehefrau Brentanos“. Es handelt sich um Sophie Mereau, geb. Schubart, verh. Brentano.
Sophie Mereau wurde am 28. März 1770 als Tochter eines Steuerbeamten in Altenburg geboren. Sie erhielt eine vorbildliche Ausbildung, vornehmlich in den modernen Sprachen, und zeigte früh große dichterische Begabung. Mit 23 Jahren heiratete sie den Juristen Carl Mereau (1765-1825) und ging 1793 mit ihm nach Jena, wo er zunächst als Professor der Rechte reüssierte und sie selbst einen literarischen Salon unterhielt. Die von Zeitgenossen als überaus gebildet und charmant beschriebene junge Frau versammelte hier die geistige Elite der Stadt um sich: Herder, Fichte, Goethe, Schiller, Schlegel, Schelling, Hölderlin, Jean Paul sowie den Verleger Frommann, den Physiker Ritter, den Kanzler v. Müller, den Arzt Hufeland u.v.a. Sie war bald eine berühmte Erscheinung und wurde mit 23 Jahren „das Wahrzeichen Jenas“ genannt. Ein Salongänger beschreibt sie so:
„Eine liebliche Erscheinung in jenen Zusammenkünften war Professorin Mereau, eine reizende kleine Gestalt, zart bis zum Winzigen, voll Grazie und Gefühl. Beides an einen rohen Gatten gekettet und verschwendet. (…) Damals war sie von allem, was Sinn und Geschmack besaß, hoch gefeiert; wo sie erschien, drängte man sich um sie und fast um sie allein, ein dichter Schwarm von Bewunderern, die nach einem Wort, einem Lächeln von ihr haschten, ringsumher schlossen noch die Gaffer einen undurchdringlichen Kreis“.2
Die charismatische Schriftstellerin und Salonière Sophie Mereau veröffentlichte seit 1791 in Schillers ‚Thalia‘ Gedichte. Sie lieferte Lyrik, Prosabeiträge und Übersetzungen u.a. zu Schillers ‚Horen‘ (vgl. Schiller, 1795-1797) und Musenalmanachen (vgl. Mix, 1987). 1801 gab sie die eigene Zeitschrift ‚Kalathiskos‘ heraus. In der für damalige Verhältnisse kühnen Schrift über die gebildete und vielseitig begabte französische Salondame Ninon de Lenclos, deren Briefe sie auch veröffentlichte, forderte sie die Emanzipation der Frau. Sie schrieb die Romane ‚Das Blüthenalter der Empfindung‘ (1794) und ‚Amanda und Eduard‘ (1803), das Versepos ‚Seraphine‘ (1802) und übersetzte spanische und italienische Novellen (1804/06). Die Romanübersetzung ‚Fiammetta‘ von Boccaccio (1806) fand allgemein Beifall, u. a. bei dem romantischen Schriftsteller Achim von Arnim, der sie „meisterlich“ nannte.
Entgegen den eingangs zitierten Darlegungen des Philosophen J. G. Fichte ordnete sich Sophie Mereau jedoch keineswegs ihrem Gatten unter, sondern beanspruchte für sich eigene Individualität. Der Dichter Ludwig Tieck, der 1793 nach Jena kam, hielt fest, dass Carl Mereau zwar „eine sehr angenehme Frau geheiratet hatte, die aber äußerst aufgeklärt und freidenckend war, besonders in Ansehung ihrer Verhältnisse als Frau“.3
Ihre Ehe, die sich von Beginn an als problematisch erwies und aus der zwei Kinder hervorgingen, wurde nach wenigen Jahren auf Vermittlung Goethes geschieden. Schon während der Ehe ging Sophie Mereau verschiedene Beziehungen mit Verehrern ein, ohne aber an eine längerfristige Bindung zu denken. Männer, wie der Jurist Johann Heinrich Kipp (1773-1834) oder der norddeutsche Lyriker Georg Philipp Schmidt (1766-1849) blieben Randfiguren in ihrem Leben, obgleich Clemens Brentano Jahre später noch auf diese eifersüchtig war und seine Frau mit Vorhaltungen quälte.

1799 traf Sophie Mereau Clemens Brentano in Jena, der nach einem erfolglosen Jurastudium in Marburg Ort und Universität gewechselt hatte und sich nun im Fach Medizin versuchte, wobei er weder in der einen noch in der anderen Disziplin je einen Abschluss erlangen sollte. Der 20jährige verliebte sich spontan in die etliche Jahre ältere „vortreffliche Dichterin Professor Mereau, die ganz, körperlich und geistig, das Bild unserer verstorbenen Mutter ist“4, wie er seinem Bruder Christian brieflich mitteilte. Die immerwährende, nicht zu stillende Sehnsucht Brentanos nach mütterlicher Zuwendung führen seine Biographen auf den Verlust der früh verstorbenen leiblichen Mutter zurück, woraus ein Vakuum entstanden sei, das ihn auch im späteren Leben nicht habe zur Ruhe kommen lassen. Den ungewöhnlichen Weg des ewig unmündigen und doch genialen „Kindes“ Clemens vom romantischen Dichter zum religiösen Eiferer zeichnet Hartwig Schultz in seiner sehr lesenswerten Brentano-Biografie „Schwarzer Schmetterling“ nach.5
Nach der Scheidung Sophie Mereaus von ihrem ungeliebten Ehemann und einem selbständigen Leben als anerkannte Schriftstellerin, geriet nun ihr Leben mit Clemens Brentano, der schon in Jena um sie warb und sie unbedingt zur Frau haben wollte, zu einem nur teilweise vorhersehbaren Desaster.
II.
Sophie Mereau wollte sich nach ihrer Scheidung nicht mehr binden und plädierte deshalb für ein Zusammenleben ohne Trauschein mit Brentano. Er aber hatte nach seiner Rückkehr nach Marburg bereits eine gemeinsame Wohnung gemietet, um sie ganz bei sich zu haben. Er schreibt am 30.08.1803:
„Ich wünsche sehr, daß Du Deine Liebe zu mir hier zu keinem Geheimnis machen möchtest, sondern daß ich Dich ganz wie meine Braut vor den Leuten behandeln dürfte. (…) Eine große unsägliche Mühe macht es mir, Dir ein schönes Logis zu finden, wo ich mit Savigny wohne, fehlt die Küche, neben uns bei Professor Tiedemann ist die Hausfrau ein wahrer Teufel, und so fort, heute Morgen aber habe ich eine Wohnung besehen, schöner als Deine in Weimar, und eine Aussicht, so reich, so wunderschön, schöner als die meinige, nur begehrt er für den Monat ein Carolin, Du hast dafür drei sehr schöne Stuben ensuite mit der reichen Aussicht ins Tal, eine große und schöne Stube mit Kammer nach der Straße in die Stadt, Küche und dergleichen. (…) Ich muß es mieten, denn schöner kannst Du nicht wohnen. (…) Die Aussicht hat durch das Gedrängte des Gebirgs, des Flusses, der vielen hochbaumichten Gärten auch im Winter viel Reiz, es ist im Winter, als schautest Du in eine wunderbar kristallisierte Grotte. (…) Dich in dieser herrlichen Aussicht bald zu sehen, ist nun meine neuste freudigste Hoffnung auf Erden, (…) nur durch Dich, o geliebtes, kindisch geliebtes Weib, will, kann ich glücklich sein. – Gelt, liebes Kind, Du reitest nicht mehr, Du schminkst Dich nie wieder, mich lieben, mich beglücken, das soll Deine einzige Lust sein“.6
Er legte dem Brief einen liebevoll aufgezeichneten Grundriss bei, um ihr die neue Bleibe schmackhaft zu machen, nicht ohne sie eindringlich zu ermahnen, nicht mehr zu reiten, sich nicht mehr zu schminken, nur ihn zu lieben und nur ihn zu beglücken. Kein Wunder, dass Sophie Mereau zögerte und ihre mühsam erarbeitete Selbstständigkeit gefährdet sah:
„Vom Heiraten sprich mir nicht. Du weißt, ich tue alles, alles, was Du begehrst und wovon Du glaubst, es könnte Dich glücklicher machen, aber wolle nichts, was Dich nicht zufriedener macht, – und mich auch nicht.“7
Letztlich gab sie auf Druck einer ungewollten Schwangerschaft nach und heiratete Brentano am 29. November 1803. Wie vorhergesehen wurde das Eheleben nicht einfach:
„Deine Unruhe ist wie ein feines Gift, das selbst durch das unschuldige Papier ansteckend wird“ schrieb sie ihm, als er sich in Frankfurt aufhielt und fuhr fort: „Ich liebe Dich, ich sehne mich oft herzlich nach Deiner Umarmung, doch will ich Dir nicht heucheln, es tut mir wohl, allein zu sein!“8
Krisen wurden schon im ersten Jahr zum ehelichen Alltag. Clemens schrieb nach vier Monaten an seinen Freund Achim von Arnim:
„Du mußt nicht glauben, lieber Achim, als sei ich unglücklich oder verändert durch meine Verbindung mit Sophie; nein, ich fühle mein Dasein durch sie verschönt, aber beflügelt sehe ich es nicht. Sie ist ein gutes Kind und eine freundliche Frau, die ich liebe, aber ich bin ohne Gehilfe, ohne Mitteilung in meinem poetischen Leben, ich möchte sagen in meinem poetischen Tod.“9
Und Sophie teilte ihrer Freundin, der Schriftstellerin Charlotte von Ahlefeld (1781-1849) mit, dass sie vom Zusammenleben mit Brentano Himmel und Hölle zugleich erwartet habe, doch sei die Hölle leider vorherrschend.10
Der kleine Sohn, der am 11. Mai 1804 zur Welt kam, lebte nur fünf Wochen. Die tief erschütterten Eltern brachen die Marburger Zelte ab und gingen im Sommer des Jahres nach Heidelberg, wo Brentano aber auch nicht zur Ruhe kam. Er flüchtete nach Berlin zu Achim von Arnim, dem er am 3. Oktober 1804 schrieb:
„Glaubst Du wohl, Arnim, daß es schmerzt, mit einem kalten Wesen täglich zusammen zu sein, das die Häuslichkeit verachtet, ohne zu einem andern Dasein Talent zu haben?“.11
Dieser Vorwurf war ein Affront und alles andere als angebracht. Das dichterische Schaffen Sophie Mereaus war trotz der Schicksalsschläge ungebrochen. Sie hielt feste Arbeitszeiten am Schreibtisch ein, meist mehrere Stunden vormittags, an denen man sie nicht stören durfte. Später, nach ihrem frühen Tod, berichtete von Arnim:
„Sehr beschämt bin ich, daß ich die gute Frau so wenig kennen gelernt habe, aber die verfluchte Disputation, die immer zwischen beiden obwaltete, nöthigte mich zu einer Art Zurückgezogenheit; dazu kam noch das Wochenbett, die fleißige Arbeit, ihre Gewohnheit, die Vormittage gern allein zu sein, so daß ich sie eigentlich fast nie gesprochen habe“.12
Sophie Mereau war froh, wenn der unruhige Ehemann sich auf Reisen begab, um ungestört arbeiten zu können:
„Von meinem Leben kann ich Dir nichts schreiben, es ist einfach und arbeitsam; es wär unmöglich, daß ich so viel arbeiten könnte, wenn Du hier wärest. (…) Es ist wahr, ein Gefühl ist in mir, ein einziges, welches nicht Dein gehört. Es ist das Gefühl der Freiheit. Was es ist, weiß ich nicht, es ist mir angeboren, und Du verletzest es zuweilen“.13

Die Ehe, die von Anfang an mehr ´Hölle` als ´Himmel` war, wurde zunehmend desaströser. Dazu trug bei, dass Clemens keiner geregelten Tätigkeit nachging. „Es war“, schreibt Dagmar von Gersdorff, „für Sophie Brentano unendlich schwierig, mit einem Mann zusammenzuleben, der keine Beschäftigung hatte außer dem Sammeln von Büchern, keine eigentliche Aufgabe im Leben, keinen Beruf. Sie hatte es ihm gesagt, geschrieben – er wollte nichts davon hören. Er haßte jeden bürgerlichen Berufszwang und blieb lebenslang, wie Guido Görres sagte, ´ein geistreicher Dilettant`“.14
III.
Sophie Mereau starb im Oktober 1806 bei der Totgeburt eines Kindes, des dritten mit Brentano in nur drei Ehejahren. Auch die Kinder waren mit wenigen Wochen gestorben, so dass er allein zurückblieb. Clemens Brentano hat sich von diesem Verlust nie wieder erholt. Seine Biographen berichten einstimmig, dass die wenigen Jahre mit Sophie Mereau die erfülltesten seines Lebens waren. In der seelischen Zerrissenheit seiner späteren Jahre war sie ihm weiter Halt und Zufluchtsort. Noch lange Zeit erschien sie ihm im Traum „schier alle zwei oder drei Nächte sehr liebevoll und schön und heilig, ach so wie in der ersten Liebe“.15 Der Freund von Arnim bemitleidete Brentano wegen seines großen Verlustes und sagte zu Görres: „Ich wünschte ihm von ganzer Seele, daß seine erste Frau nicht gestorben wäre; er hat unglaublich viel durch sie verloren“.16
Referenzen
1 J.G. Fichte, zitiert nach Sigrid Lange (Hg.): Ob die Weiber Menschen sind. Geschlechterdebatten um 1800, Leipzig 1992, S. 369f.
2 Gustav Poel (Hg.): Johann Georg Rist: Lebenserinnerungen. Teil 1, Hamburg 1968, S. 67.
3 Tieck an Sophie Tieck, 2.5.1793, zitiert nach Frank Berger: Das Geld der Dichter in Goethezeit und Romantik, 71 biografische Skizzen über Einkommen und Auskommen, Frankfurt am Main 2020, S. 160.
4 Zitiert nach Dagmar von Gersdorff: Dich zu lieben kann ich nicht verlernen. Das Leben der Sophie Mereau-Brentano, Frankfurt am Main 1984, S. 165.
5 Vgl. Hartwig Schultz: Schwarzer Schmetterling, Zwanzig Kapitel aus dem Leben des romantischen Dichters Clemens Brentano, Berlin 2006.
6 Zitiert nach Heinz, Amelung (Hg.): Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau, Potsdam 1939, S. 155-157.
7 Zitiert nach ebd. S. 171.
8 Zitiert nach ebd. S. 319.
9 Zitiert nach ebd. S. 23.
10 Vgl. Gersdorff, S. 310.
11 Zitiert nach Amelung, S. 25.
12 Zitiert nach Reinhold Steig (Hg.): Achim von Arnim und Bettina Brentano, Stuttgart und Berlin 1913, S. 155.
13 Zitiert nach Amelung, S. 349.
14 Zitiert nach Gersdorff, S. 341.
15 Zitiert nach Amelung, S. 36.
16 Zitiert nach Gersdorff, S. 356.